Die Schreib- und Tanzwoche in Vellexon liegt einige Wochen zurück. Schon wieder blass gewordenene Erinnerung. Ob die sich auffrischen lässt?
Vorneweg: Es gibt ein Schreibhaus in Burgdorf. Es gibt ein Schreibdorf, das drei Mal im Jahr in Burgdorf im Schreibhaus und in Konstanz im „Paradies“ zusammenkommt. Und es gibt ein Schloss in Frankreich, wo jeden Frühling für eine Woche getanzt, geschrieben, gelesen und geschaffen wird. Und alles hängt zusammen. Wie? Das kommt hier:
1.
Den Stift habe ich eingepackt, das rote, dicke Buch, die farbig gestreifte Decke. Einen Koffer voller Kleider. Den Laptop, den Drucker. Bücher für alle Fälle. Tanzkleider: Die Schwarze, bequeme HAIKU-Hose, T-Shirts, Knieschoner. Wanderschuhe, Papier in verschiedenen Farben, die Post-it-Zettel, Klebeband. Zur Sicherheit noch mehr Stifte, noch mehr Papier. Alles muss mit, knapp passt es hinten in den roten, alten Saab, Gabriele wartet schon, am Bahnhof, es ist die Osterwoche im April: Es geht los. Auf nach Vellexon, ins Schloss, zum Tanzen und Schreiben.
Schon das vierte Jahr veranstalten wir diese Woche, Gabriele Meseth und ich. Und das ist die Formel: Ein Schloss, viel Zeit, ein offenes Programm, eine Gruppe von Menschen, die mit dem Körper vertraut sind und sich mit dem Schreiben befreunden. Die Prämisse: Wir machen nichts für die anderen, kein Programm, das andern gefallen muss. – Alles für uns. Zumindest: Alles so, dass wir davon profitieren. Kein Workshop. Ein Labor, das wir teilen, öffnen. Wenn es ein Essen wäre: Wir würden die Zutaten zusammenstellen, wie sie uns passen, würden zu schnipseln und schälen beginnen, wer mitessen will, kann mithelfen beim Kochen. Jeder ein Koch, jede eine Esserin. Ein Rahmen, der offen bleibt. Ein Fest, das grösser wird.
Körpergeschichten – das ist für dieses Jahr das Thema, Gabriele steht am Bahnhof bereit, wir begrüssen uns und kommen beim Fahren langsam beieinander an. Zu erzählen gibt es vieles, Leben, die Menschen, die wir lieben, unsere Ideen, was wir an Freuden erlebt haben. Auch vorbereiten müssen wir, aber das kommt auf Umwegen, und so fahren wir auch: Auf Umwegen, diesmal über den Pruntruter Zipfel. Zu direkt ist nicht gut.
So viel wissen wir: Um den Körper wird es gehen, was für Geschichten in ihm wohnen. «Geschenkt», denken wir, denn das Tanzen, die Improvisation, die Arbeit am Körper – das läuft doch einfach mit.
Jeder ein Koch, jeder ein Gast
Die Rapsfelder fliegen vorbei. Wie alles blüht! Wie Frankreich schon in Grün und Farbe ist,! Dann sind wir da. Der Saab ist um einen ersten Einkauf schwerer geworden, Wasser musste mit, Kartoffeln, Käse, ein Hähnchen für schnell, das erste Essen kochen wir, dann wird aufgeteilt: 14 Leute sind wir in der ganzen Gruppe, das gibt eine Schicht für je eine Zweiergruppe: Abendessen, Frühstück Mittagessen, das gehört dazu: Jede eine Köchin, jeder ein Gast.
Der Vormittag von 9 bis 12 gehört dem Schreiben und Bewegen. Dann ist frei bis fünf. Das ist die Teestunde, und das heisst: Texte lesen und besprechen. Dazu, danach und dazwischen, auch das hat System, setzten wir gemeinsame Programmpunkte fest. Von Tag zu Tag und auch über die ganze Woche: Ein Vollmondspatziergang um die Rapsfelder, die noch ganz fahles Gelb zeigen. So hell! Eine Jam. Wer wann einkauft, kocht und was: Die Gruppe schafft sich für eine Woche eine Welt. Wie ein Dorf und da hat auch Platz, was jeder an Leben mitbringt und an Sterben: Zuhause der Vater in den Achtzigern, der um sein Leben ringt: Auch das gehört hierhin, auf den Dorfplatz, könnte man sagen. Und wenn alles zu schwer wird, dann gibt es auch die Blasmusik, die scheppernd übt und wir machen einfach weiter im Text ohne im Aussichtslosen und Schwierigen stecken zu bleiben.
Das ist alles kein Zufall. Es hat sich so herausgebildet, dass die Gruppe sich einen gemeinsamen Rahmen schafft, die konkrete Sorge für das tägliche Wohlergehen und auch die Sorgen des Lebens und die Freuden teilt. Hier baut sich auf, was fürs Schreiben tragen wird: Der offene Rahmen des Austauschens, das Interesse aneinander: Das überträgt sich dann auch auf das Interesse an den Texten die hier entstehen.
Körper-Zettel-Geschichten
Im Auto haben wir darüber gesprochen, im Voraus schon Ideen zusammengetragen, am Abend bereiten wir vor: So beginnen wir, das ist der Anfang: Indem wir unsere Körper geschmeidig machen, indem wir uns einschreiben, indem wir Zettel schreiben, zu Stichwörtern, die zu unseren Körpern führen: Organe. Empfindungen. Orte, wo der Körper war: Leber, Hosentasche, kalt. Aus diesen Zetteln werden erste Geschichten, und aus den Geschichte, aus dem Schreiben und Lesen wird der erste Tag. Der zweite Tag setzt bei den Knochen an, die Zeit beginnt unter den Stiften und beim Bewegen zu fliessen. Bald sitze ich mit der Decke über den Füssen im warmen Sonnenlicht und höre mir an, was meine Schreibpartnerin von Reykjavik erzählt: Wie sie und ihr Geliebter einander Botschaften auf den Rücken schrieben. Und ich erzähle von der Asche meines Bruders und wie wir sie in den Fluss haben fallen lassen, eine Wolke aus Licht und Leichtigkeit, glitzerndes Wasser, in die sie fällt: Und auch daraus werden Geschichten. Und Juris Rücken kommt zur Sprache, der seltsam tänzelnde Gang von Karims Vater: Geschichten, Erzählungen, Texte – und es ist als würden die Texte aus dem Gang der Tage, dem Stand der Sonne, dem Gelb der Rapsfelder und den Nebelschwaden über der Sâone entstehen.
Und auch das ist Konzept: Gabriele und ich hecken Tag für Tag neue Settings und Einstieg zum Schreiben aus: Stichwörter, Anregungen fürs Schreiben, Bewegungssequenzen Textaufgaben vor. Wir legen Spuren zu Texten. Wir bewegen mit, schreiben mit.
Nicht der richtige Text, die fachgerechte Kurzgeschichte ist das Ziel: Texte, von denen wir noch nichts wissen, wollen wir finden. Wir wollen um sieben Ecken an den Körper herangehen und schauen, was da ist: Ein Fischer könnte er sein, der Körper, wenn er uns begegnen würde, ein saurer Magen mit Schlapphut und galligem Biss. Und schon gehen die Geschichten los.
Und wie geht das? Wir schreiben, wie man improvisiert. Losschreiben und schauen, wie man sich Satz für Satz durch den Text rettet, wie man Satz für Satz neue Entdeckungen macht. Jetzt findet das Schreiben statt – und gleich wird es geteilt. Vor dem Papier ist jeder allein, anders kommt man nicht zum Text. Aber der Schritt vom Schreiben zum Lesen ist klein, man braucht nur den Stift abzusetzen, den Kopf zu heben, man liest vor – und schon kann sich der Text beim Lesen entfalten. Unmittelbar. So wie er geschrieben wurde.
Schreiben, um gelesen zu werden
Die Tage vergehen im Flug. Manchmal liege ich auf dem harten Holzboden, in dessen Ritzen sich Maikäfer verlieren. «Ihre Punkte zählen doppelt», verkünde ich dann. Ich komme zu mir, wenn ich schreibend am Tisch sitze mit dem Blick auf den Schlosspark, dessen Bäume unser Tun bergen und begrenzen.
Die Gruppe: Das sind wir als Leser und Schreiberinnen, die von einer Rolle in die andere wechseln. Die uns einander zumuten mit den Texten, die wir vorlesen. Die einander ein Du sind, an das sich schreiben lässt. Denn jeder Text will auch gelesen werden, wie Siri Hustvedt es sagt. Und das macht Texte ganz: Dass sie ein schreibendes Ich zum Autor haben, das neugierig, forschend, experimentierend mit dem Stift unterwegs ist. Das sich in das Scheiben stürzt, um unterzugehen und mit einem Fundstück wieder aufzutauchen: Ein Revolver an der Seite oder die Frage, ob da von den Ahnen her ganz unerhörtes Blut sich in die Geschlechterlinien gemischt haben mag.
Und dass da ein Raum ist, in den diese Geschichten fallen. Ein Raum der Aufmerksamkeit. Ein Dorf voller Neugierde. Ein Schloss, durch das Papierflieger sausen, wenn es Peter so will.
Der grosse, helle Saal, in dem wir schreiben und bewegen wird zum Raum über unseren Texten: Die weissen Wände. Der Holzboden. Die Säulen, die ihn in zwei Hälften teilen. Der Blick in den Park, der Blick ins weite Tal der Saône. Und wenn die blaue Türe zur Feuerleiter offen ist: Morgensonne, die auf den Holzboden fällt, wo wir sitzen und unsere Zettel, Decken und beschriebenes Papier liegen.
Der Raum schwingt mit unserem Schreiben mit. Wenn wir wieder gehen, wird er wieder sein wie immer: Leer, einladend, grosszügig.
Und wie wir zur Teestunde in der Sonne sitzen: Zwei Gruppen je, und vorlesen und kommentieren und debattieren, wie wahr denn ein Text sein kann, den einer über einen anderen schreibt, was Zutat, Erfindung und Lüge ist beim Schreiben. Die Sonne wird heiss, man giesst Wasser nach ins Glas, man rückt sich die Sonnenbrille zurecht, man hört zu, kostet, sinnt und vergisst sich in den kurzen Sätzen, die Iris vorliest, die so knapp sind, dass in ihren Ritzen allerhand Neues wachst, als würde der Koffer eines Manne selbständig auf Reisen gehen.
Das Ganze
So ist das: Da ist Sonne und Kekse gibt es und Schokolade und eine Abschlusslesung in den Sonnenuntergang. Furor und Rage flammen auf, wenn das Thema heisst „Alles ist gut“ – und dabei ist nicht alles gut und schlimm wäre es, wenn alles gut wäre, das Leben und das Sterben und das Sterben lassen, das Verhungern und das Essen: Dagegen müssen die Stifte rebellieren und die Texte stellen sich quer und dann feiern andere doch wieder das Leben und wie es kompliziert ist.
Und dann ist alles vorbei und wir fahren wieder heim und mir scheint: Der Saab ist kleiner geworden. Oder unser Gepäck ist grösser geworden oder unser Sinnen und Dasein, und es ist auch Traurigkeit ins Gepäck hineingeraten: Gabriele und ich. Jetzt fahren wir wieder heim. Nicht zu direkt. Diesmal über Winterthur. Andere Jahre gab es noch Fische unterwegs. Ein Essen unten am Doubs. Das rote Buch ist dicker geworden. Ach, wenn’s nur nicht zuende wäre, sagen wir und hören nicht auf, allem hinterher zu denken. Und dann, wenn ich zuhause bin und alles versorgt ist, merke ich: Die Landschaft ist gross geworden.
So hat alles stattgefunden. So ist es gewesen. So war es gut.
2.
Und nachher:
Loslassen. An die Bäume im Park denken, an ein Feuer im Ofen, an Papierflugzeuge, an Durchzug, der alles anders macht, Bilder an der Wand, Bleistifthühner, die Contact tanzen, Lebensfesseln, die mit dem Stift in der Hand gesprengt werden, oder gut und noch besser:
An all das, bevor es gesagt und getan wird.
An einen leeren Raum mit Holzboden und Marienkäfern, die ihre Punkte jedem geben, der sie nur sieht. An klare Sonne über grünem Feld. Ans Daliegen in ersten Sonnenstrahlen, wenn die Türe zur Feuerleiter geöffnet wurde. An einen ersten Ton von draussen her aus einem saitenwüchsigen Kürbisbauch.
Und so klingt es also nach.