Alle Kunst will Ewigkeit

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Gäste und Bekannte des Schreibhaus Burgdorf

Gestern hat mich eine sehr nette Person mit der Frage überrascht, ob ich ein fröhlicher Mensch sei. «Kann ich fröhlich sein, ohne die Gründe der Traurigkeit zu berühren?», dachte ich mir und suchte nach Worten dafür. Die Antwort wurde sehr lang. Ich erzählte von Menschen, die ich liebte und verloren habe und wie ich gelernt habe, sie im Andenken zu bewahren – und wie ich damit gelernt habe, das Glück des Lebens zu schätzen.

In der Antwort erzählte ich auch von der Ausstellung, die ich in Waldstatt zusammen mit Marcel Henry vorbereite. Sie dreht sich um künstlerische Nachlässe – und damit um die Frage, was vom Schaffen eines Menschen bleibt – und letztlich von diesem Menschen selbst.

Zu den Nachlässen gehört die Fotoserie von meinem Bruder Franco. Wir zeigen Arbeiten von Otto Bruderer, Hermi Breitenmoser, Regula Baudenbacher, Urban Blank und dem vor wenigen Tagen verstorbenen Konzeptkünstler H.R. Fricker. Von Emma Kunz, die ihre letzten Schaffensjahre in Waldstatt verbrachte, können wir ebenfalls Werke und Objekte zeigen – unter anderem eine getrocknete Ringelblume, die unter ihrem Foto auf der Tafel des Emma Kunz Weges mehrfache Blütenstände bildete.

Im Ausstellungsprogramm schreiben wir: „Künstlerinnen und Künstler schaffen, überarbeiten, verkaufen, sammeln und bewahren ihr Werk, denn, wie alle Lust, will auch die des künstlerischen Schaffens Ewigkeit. Aber mit dem Tod seiner Urheberinnen und Urheber wird aus dem eben noch lebendigen Werk ein Nachlass. Den Erbinnen und Erben stellt sich die Frage, was zu behalten ist, was in die Hände von Interessierten gelangen soll und was weg muss. Sie fragen sich, wo geeignete Orte für die Aufbewahrung zu finden seien und wie das Werk konserviert, archiviert oder schlimmstenfalls Teile davon sicher entsorgt werden können.
Die Ausstellung zeigt ausgewählte Werke aus verschiedenen Nachlässen und lässt sie in ihrer Schönheit und Gegenwärtigkeit aufleben. Im Rahmenprogramm werden Möglichkeiten für den Umgang mit Nachlässen aufgezeigt.“

Alle Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung verbindet, dass ihre Werke im grossen Jetzt des Schaffens entstanden sind. Wenn ich dieses Jetzt in Bildern wahrnehme, befällt mich immer eine Melancholie und Traurigkeit. Denn der Moment dieses Jetzt ist unwiederbringlich verloren. Nur seine materielle Spur ist noch da. Was also bleibt? Was teilt sich mit? Was wird zum Andenken? Was bleibt lebendig? Als Teil der Antwort auf diese Frage haben wir  Joëlle Valterio und Rolf Schulz eingeladen, die Ausstellung mit Performances zu begleiten – und damit jene flüchtige Kunstform ins Spiel bringen, die im Moment entsteht und mit ihm vergeht. Denn die Ewigkeit ist immer Jetzt. Und darum werden wir auch im Haus zu den Bildern schreiben und so ins ewige Jetzt des Schreibens eintauchen.

Und was hat das mit meiner Fröhlichkeit zu tun? Löst sie sich als Heiterkeit aus der Auseinandersetzung mit dem Vergehen und dem Vergangenen heraus? Vielleicht! Oder vielleicht ist es auch einfach ansteckend, ins Jetzt dieser Bilder einzutauchen, ins Jetzt des Werdens und Schaffens, das mich ergreift und über mich hinausträgt in eine Welt, die ein Versprechen sein könnte.

Wie auch immer – fröhlich oder traurig, heiter oder schwermütig: Ich lade euch ein, in die Ausstellung in Waldstatt einzutauchen! Ihr werdet in einem wunderschönen Appenzellerhaus auf Spurensuche gehen können und hoffentlich in allem Vergangenen auch das grosse, ewige Jetzt des Werdens entdecken!

Unter diesem Link findet ihr die Programmkarte zur Ausstellung.

Alle Informationen findet ihr unter www.ottobrudererhaus.ch

Ich grüsse euch ganz herzlich und wünsche schöne Tage zwischen Frühling und Sommer!

Ivo Knill

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