
Das Reich der Wörter
Schreiben, davon bin ich überzeugt: Das können wir alle. Schreiben ist eine Fähigkeit, die in uns schlummert. Das Schreiben lässt sich wecken. Und wenn das passiert, wenn die Sprache wach wird: Dann ist das ein Glück, das sehr oft sich selbst genügt.
Viele Texte können für sich allein stehen. Tagebücher. Listen von Gegenständen mit der Farbe Rot. Morgenseiten. Nicht alles muss geteilt werden. Vieles darf absichtslos, zweckfrei, nur um des Schreibens willen entstehen.
Meine Schreibimpulse beinhalten ein Moment der Überraschung. Man soll nicht aufschreiben, was man schon weiss. Schreiben soll ein Aufbruch in Neuland sein.
Kleine Schubser, die das Schreiben aus den geordneten Bahnen werfen. Ein kleines Stolpern: Und schon landen wir im Text. Und dann heisst es: Weiterschreiben, denn Texte entstehen, indem man sie schreibt.
Schreiben braucht Anregung, Impulse, Atmosphäre: Ich, ein Stift und Papier. Die Kastanie vor dem Haus. Die Aussicht auf den Park. Der Bauch einer Bibliothek. Ein Café.
Wie Erzählen geht, wie ein Essay geht, wie Biografie Volumen erhält: Das lässt sich in wenigen Sätzen sagen: Erzählen muss die Sinne ins Spiel bringen und braucht den Konflikt als Motor. Biografie erhält Volumen, wenn wir von der Linie des zeitlichen Verlaufs in die weite Landschaft des gelebten Lebens eintauchen. Ein Essay geht so, dass man sich mit dem Stift in der Hand auf eine Reise begibt und diese für eine Leserin sichtbar macht.
Der Rest ergibt sich.

Die schnurrende Katze – oder wie Schreiben geht
Stell dir vor: Auf deinem Schoss sitzt eine Katze. Wenn dein Stift über das Papier gleitet, dann schnurrt sie.
Das ist das Prinzip der schnurrenden Katze. Man kann es auch spontanes Schreiben oder écriture automatique nennen. Die Regel: Nur vorwärts schreiben. Nichts durchstreichen, nichts ändern. Unfertige Sätze, halbe Wörter: Alles ist erlaubt. Wenn nur die Katze schnurrt! Wenn nur der Stift vorwärts geht! Sieben Minuten kann man so schreiben, vielleicht auch zehn oder zwölf. Und es ist so spannend, wie du dich überraschen lässt.
Es scheint nur so, als wäre es das Produzieren von Wörtern, Sätzen, Sprache. In Wahrheit ist es eine Reise. Eine Safari der Ideen. Und du bist der Held, die Löwin, die Fahrerin im Landrover und der Scout. Einfach losschreiben!
Das ist das Prinzip der schnurrenden Katze.
Das Prinzip hat eine sehr einfache Logik: Schreiben ist ein sehr komplexes Zusammenspiel von für sich schon anspruchsvollen Aufgaben: Buchstaben müssen getippt, geschrieben, aufs Papier gebracht werden. Man muss die Wörter aufeinander beziehen, damit der Satz funktioniert. Die Sätze müssen stimmen und der Text muss seinen Inhalt aufbauen – und dieser muss überhaupt erst gefunden werde. Viel Arbeit auf einmal. Mit dem Prinzip der Schnurrenden Katte bekommt das Vorwärtsschreiben den ersten Rang, das andere mag folgen. Zuerst muss grosszügig Text auf Papier – und der wird sich schon, Satz für Satz, seinen Inhalt aufbauen.

15 Post-its für ein Leben
Wie schreibt man über ein ganzes Leben? So vieles ist zu sagen! So vieles weiss man – aber vielleicht ist gerade das nicht das Spannende?
Die Post-it-Methode kann helfen: Schreibe Ortsbezeichnungen aus deinem Leben auf. Sie müssen nicht wichtig oder vollständig sein: Schulhaus Bahn, Orion, Schlossstrasse 111, mein Zimmer, um einige Beispiel zu nennen. Schreibe jetzt fünf Gegenstände auf, die du gerne und oft, widerwillig oder freudig in die Hand genommen hast. Das könnte der Fülli sein, der Betonmischer, das Steuerrad des ersten Autos. Und jetzt: Fünf Namen. Egal welche, vielleicht gerade nicht die wichtigsten: Peter Füglistaler, Zio Hugo, Pfarrer Müller.
Und schon beginnen die Geschichten zu sprudeln! Am besten geht die Methode zu zweit: Jeder schreibt seine Zettel, dann stellt man sich in kurzer Form die Zettel vor. Und jetzt wird gewünscht: Schreib über den Orion, bittet mich Anja – und schon schon schreibe ich los: Der blaue Anorak, meine Skis mit der Spannbindung, wie es heiss wurde unter dem Wollpullover, wenn wir die Piste entlang hochstiegen. Tänneln nannte man das …
In dieser Methode steckt vieles: Dass man sich beim Schreiben überraschen soll. Nicht erzählen, was man weiss, sondern: Aufbrechen, neu sehen! Und dass die Geschichten mit den Bildern, den Details, den Sinneseindrücken in Gang kommen – und die hängen nun mal an Gegenständen, Orten, Begegnungen mit Menschen.
Und dass das Schreiben zu den Formen des Glücks gehört, die grösser werden, wenn man sie teilt.